STEREO GUIDE Testurteil
Der mit App aufwartende Marshall Willen zeigte im Test durchaus einige Talente. Doch gibt es günstigere Mini-Bluetooth-Boxen die anspringender agieren.
Vorteile
- feine Hochtonauflösung
- für die Mini-Abmessungen differnzierte Basswiedergabe
- App mit Sound-Presets und Firmware-Updates. Freisprecheinrichtung zum Telefonieren
- hohe Anfassqualität, zu einem großen Teil Recycling-Kunststoffe
Nachteile
- dynamisch auch im Mini-Segment eher Mittelmaß
- kein Schnäppchen
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Klang: Natürlichkeit / Transparenz5.8
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Klang: Bass / Dynamik5.4
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Praxis / Connectivity8.6
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Preis / Leistung8.8
Jim Marshall gründete im Jahr 1962 die legendäre Marke, die seinen Namen trägt. Somit feiert man dieses Jahr das 60jährige Jubiläum und erneuert unter der Ägide des schwedischen Lizenznehmers Zound Industries fast die gesamte Palette von Bluetooth-Lautsprechern für Heim und Outdoor. Von den mobilen Wireless Speakern der Skandinavier, von denen wir schon einige im Test hatten, ist der Marshall Willen der kleinste. Seine Formgebung orientiert sich auch weniger an den legendären Gitarrenverstärkern der Marke, sondern eher an flachen tragbaren Speakern der Mitbewerber.
Mit 4 Zentimetern Tiefe ist er wirklich mobil und findet in jedem Rucksack oder gar der Handtasche Platz. Für den Outdoor-Einsatz empfiehlt er sich zudem mit Wasser- und Staubschutz nach IP67, sehr guten theoretisch möglichen 15 Stunden Spieldauer und einem wirklich toll gemachten Gummigurt. Der ist nicht nur zum Tragen gedacht, sondern auch clipbar. Man kann den Marshall Willen damit ganz easy an Stangen, Fahrradlenkern oder Haken befestigen.
Mit 99 Euro gehört er in seiner Größenklasse schon fast zur High Society, bietet aber dementsprechend auch eine Verarbeitung und eine Optik über dem Standard. Zum klassischen Schwarz gibt es dabei noch eine cremefarbene Version. Also doch eher Damenhandtasche als Seitentasche an der Harley?
Wieviel Marshall steckt im Willen?
Die Stilzitate an die legendären Gitarren-Verstärker von Jim Marshall bleiben beim Willen jedenfalls dezent. Das Kunststoffgehäuse ist in Lederoptik geprägt, der Marshall-Schriftzug und der frontale Multifunktions-Button messingfarben – das war’s. Das gegossene Kunststoffgitter vermittelt aus der Nähe weniger Retro-Charme, der Hersteller betont dabei aber die Nachhaltigkeit. Die ähnlich soft wie ein Auto-Armaturenbrett anzufühlende Kunststoffoberfläche besteht zum Teil aus Recycling-Kunststoff.
Für die aktive Schallwandlung sorgt ein Breitband-Lautsprecher mit 5 Zentimetern Durchmesser. Unterstützt wird dieser von einem mit 10 Watt ordentlich ausgestatteten Mono-Verstärker und zwei seitlichen Passivradiatoren. Diese werden über die Schwingungen im winzigen Innenvolumen angetrieben und nutzen so den rückwärtigen Schall des Breitbänders für mehr Tiefgang im Bass.
Erstaunliche Akkulaufzeit, wenig Möglichkeiten
Mit 310 Gramm Gewicht bleibt der Willen im klassenüblichen der flachen Bluetooth-Minis. Dabei überrascht er mit einer Betriebsdauer von 15 Stunden, die bei gemäßigter Lautstärke auch durchaus übertroffen werden kann. Sehr praktisch: Eine LED-Reihe auf der Oberseite des Willen zeigt den Ladestand sehr realistisch an.
Zum Aufladen gilt es, das beigelegte USB-Kabel in die USB-C-Buchse auf der rechten Seite zu stecken. Sie ist der einzige Anschluss der Wireless-Box, die über nur eine Bluetooth-5.1-Schnittstelle mit dem Standard SBC-Codec verfügt.
Marshalls App oder Joystick-Bedienung?
Tatsächlich besitzt der Willen nur zwei Knöpfe zur Bedienung: eine Bluetooth-Pairing-Taste und den erwähnten Multifunktionsbutton vorn auf der Ecke. Der dient als Ein/Ausschalter ebenso wie zum Steuern von Play und Pause. Und die Lautstärke? Die kontrolliert er ebenfalls, und zwar über eine leichte Kippfunktion nach oben oder unten. Titelsprung geht nach dieser Logik mit Links/rechts wie bei einem kleinen Joystick. Das ist wirklich sehr durchdacht und den üblichen Doppelklick/langehalten/Klammeraffengriff-Strategien anderer Hersteller überlegen. Telefongespräche nimmt er übrigens ebenfalls über die One-Button Bedienung an, ein Mikrofon ist eingebaut.
Einige weitere Funktionen verbergen sich exklusiv in der kostenlosen App. Die drei Presets für den EQ sind dabei nicht wirklich der Rede wert, einen individuellen EQ gibt es nicht.
Ansonsten gestattet die App, deren Registrierung erfreulicherweise freiwillig ist, Updates für die Firmware. Dazu muss der Akku der winzigen Bluetooth-Box aber mindestens zu 20 Prozent geladen sein. Und es lassen sich zwei Smartphones oder Tablets gleichzeitig im Multi-Hosting-Betrieb via Bluetooth mit dem Speaker verbinden. Ebenso kann man im „Stack-Mode“ ähnlich eines Party-Modus´ aus mehreren Marshall Speakern bilden.
Hörtest mit schwarzem Mini
Mini-Bluetooth-Boxen sind von Natur aus keine Bass-Wunder. Die Physik setzt einfach Grenzen, wenn kleine Membranflächen in kleinen Gehäusen am Werk sind. Und der Marshall Willen zählt auch noch zu den kleinsten unter den Minis. Das ist gut für die Mobilität, aber eben nicht förderlich für tiefe, satte Bässe. Gemessen daran reicht seine Bass-Wiedergabe sogar erstaunlich tief hinab, zumal er im Gegensatz zum Tronsmart Element Groove 2 auf vordergründige Effekte verzichtet.
Allerdings kostet ihn die relativ tiefreichende Abstimmung im Bestreben, ehrliche Bässe zu produzieren, einiges an Dynamik. Diese Philosophie brachte dem Willen vor dem Hintergrund des amtlichen, aber von der Verarbeitung durchaus gerechtfertigten Preises bei vielen Testern einiges an Kritik ein. Übrigens leistet hier der EQ-Modus „Drücken“ (ulkige Übersetzung) keine Abhilfe. Weil der 2-Zoll-Breibänder ohnehin schon überfordert ist mit der Aufgabe, Bass zu produzieren, bleibt den Sound-Tunern von Zound Industries nämlich nichts anders übrig, als die beim Willen ohnehin recht unterbelichteten Mitten noch weiter abzusenken. Während die grundsätzlich nachvollziehbare Strategie beim größeren, voller abgestimmten Marshall Emberton 2 aufgeht. geht sie im Test beim winzigen Willen voll nach hinten los.
Ich persönlich mag den Mini-Marshall. Der winzige Bluetooth-Lautsprecher geht seinen eigenen Weg und hat durchaus Qualitäten. Wer nicht laut hört, bekommt eine weitaus differenziertere Basswiedergabe geboten als bei einigen effekthascherischen Böxchen wie dem anspringenden Tronsmart Element Groove 2. Die spielen bei elektronischen Beats und akustischen Drums nur eine Frequenz, aber das möglichst laut. Und auch die Höhen sind recht spritzig. Vor allem aber haben sich die Entwickler bei der Stimmwiedergabe Mühe gegeben. So sind die Gesangsspuren der Musiktitel zwar recht schlank, aber immerhin nicht quäkig. Das ist leider keine Selbstverständlichkeit in dieser Klasse.
Übrigens können Interessierte selbst einen virtuellen Hörtest mit dem V.A.C. Player (Virtual Audio Comparison) mit STEREO GUIDE durchführen, um sich einen eigenen Höreindruck vom Klang des Marshall Willen zu verschaffen und sich an einer unabhängigen Bewertung des neuen Testverfahrens der der Plus Ai Software GmbH zu beteiligen.
Testfazit und Alternativen zum Marshall Willen
Den Sympathie-Bonus für Retro-Charme kann der Willen im Test nicht so richtig für sich verbuchen. Akkulaufzeit und intuitive Bedienung stechen zwar aus dem Marktumfeld heraus. Ansonsten gibt es aber günstigere und klanglich zumindest in bestimmter Hinsicht bessere Alternativen bei den flachen Minis: Etwa die satter und dynamischer spielende Tribit Stormbox Micro 2 oder den etwas harmonischeren Sharp GC-BT60.
Technische Daten: Marshall Willen
- Preisempfehlung des Herstellers: 99 Euro
- Abmessungen (B x H x T): 10 x 10 x 4,1 cm
- Gewicht: 310 g
- Akkulaufzeit bis zu 15 Stunden
- Besonderheiten: Wasser- und Staubschutz nach IP67, App, Stack-Modus
- Mehr unter: www.marshallheadphones.com
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