STEREO GUIDE Testurteil
Mit dem Cambridge Audio Melomania P100 versucht die englische Marke durch Bluetooth und aufwändiges ANC Sony, Sennheiser und Bose Konkurrenz zu machen. Trotz deren jahrelangem Entwicklungsvorsprung erwies sich der Over-Ear von der Insel im Test vom Klang bis zum ANC als äußert konkurrenzfähig.
Vorteile
- ausgewogener, spielfreudiger Klang
- sehr bequemer Sitz, langzeittauglich
- Lange Akkulaufzeit
Nachteile
- Sitzt für Sport zu locker auf dem Kopf
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Klang: Natürlichkeit / Transparenz9.2
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Klang: Bass / Dynamik9.1
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Praxis / Connectivity9
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Preis/Leistung9.6
Die britische Marke Cambridge Audio, eigentlich bekannt für klassische HiFi-Bausteine, drängt mit Macht in das Segment Future-Fi. Nach den erstaunlich guten, aber nicht perfekten Melomania M100 True-Wireless-In-Ears und dem Retro-Schmuckstück Evo One kommt der Cambridge Audio Melomania P100: Ein drahtloser Over-Ear-Kopfhörer mit aktivem Noise-Cancelling (ANC) und dem Versprechen, echten High-End-Sound für die Reise zu liefern.
Das allein wird gegen die starke Konkurrenz in diesem Segment nicht ausreichen: Bose, Sennheiser, Bowers & Wilkins und Sony sind einige Namen, die unschlagbar erscheinen. Der Cambridge Audio Melomania P100 versucht gar nicht erst, diese in einen Preiskampf zu verwickeln oder mit dem am dichtesten isolierenden Noise-Cancelling zu punkten. Nein, die Akkulaufzeit bis zu 100 Stunden (bei deaktiviertem ANC) und ein höchstmöglicher Tragekomfort sind neben dem „britischen Sound“ die Disziplinen, in denen der P100 punkten will.
Mit modischen Varianten und exotischen Trendfarben hält sich Cambridge Audio nicht lange auf: Den P100 gibt es in schwarz oder weiß. Für ein besseres Standing bei jungen, bewussten Käufern setzt Cambridge auf ökologische Aspekte und betont die Nachhaltigkeit der Materialien wie dem veganen Kunstlederbezug (bitte nicht essen!). Das könnte man bei einem Kopfhörer für unwichtig halten, aber tatsächlich verbirgt sich die größte ökologische Errungenschaft im Kleingedruckten: Akku und Polsterringe des P100 kann man austauschen, was dem Hörer eine maximale Lebensdauer garantiert.
Cambridge Melomania P100: Connectivity und Funktionen
Bluetooth nach dem leistungsfähigen Standard 5.3 dürfte die meistgenutzte Zuspielmöglichkeit sein. Die drahtlose Verbindung ermöglicht auch HiRes-Auflösung, zumindest mit aptX Adaptive kompatiblen Devices. Für iPhone-User ist noch der ebenfalls hochwertige Codec AAC integriert.
Multipoint-Verbindung mit zwei Devices gelang im Praxistest problemlos. Das ist besonders praktisch, wenn man den P100 zum Musikhören am Rechner nutzt, aber vom Smartphone aus Einstellungen an der App vornehmen will.
Für den kabelgebundenen Betrieb stehen USB-C oder ein 3,5-mm-Klinkenadapter bei analogen Quellen zur Verfügung. Die digitale USB-Verbindung wurde unter Android- und Windows-Geräten problemlos erkannt und als Soundausgabe aktiviert. Mit Apple-Devices arbeitete der P100 nicht so reibungslos zusammen wie erhofft.
Top Equalizer und simple App
Die Cambridge Melomania Connect App muss je nach Device im App Store oder Play Store gefunden werden. Das geht problemlos über den mitgelieferten Code, sofern das Smartphone für solche Links in den Store freigeschaltet ist. Manuelles Suchen ist etwas verwirrend, da es zwei Versionen für die alte und die neue Generation Melomania gibt. Unser Tipp: Die Version mit dem orangen Cambridge-Logo ist die richtige. Kopplung und Einrichtung sind dann ein Kinderspiel, zumal sich der Cambridge Audio Melomania P100 automatisch im Smartphone meldet, wenn er noch nicht verbunden ist.
Wichtigstes Feature der App ist wohl der 7-Band-Equalizer. Vielleicht nicht für Laien ganz so einfach zu bedienen wie ein simpler Höhen/Bass-Regler, ermöglicht er aber mit etwas Übung eine perfekte akustische Anpassung an den eigenen Geschmack. Neben den vorgefertigten Presets kann man sich auch eigene Kurven speichern und benennen. Absolut Top!
Noise-Cancelling und Transparenzmodus sind in der App auch umschaltbar, wobei man ersteren noch einmal in drei Stufen in der Intensität verändern kann. Das hielten wir im Praxistest aber kaum für notwendig. Zusätzlich bietet die App einen Low-Latency-Modus für Videos und Computerspiele, ein paar sinnvolle Anzeigen, Sprachumstellung und Trage-Erkennung – das bleibt übersichtlich, aber vermisst haben wir eigentlich keine von Mitbewerbern bekannten Funktionen.
Klassische Bedienung ohne Touch
Ebenso intuitiv und simpel ist auch die Bedienung am Kopfhörer selbst. Cambridge setzt hier nicht auf mehrfach belegte oder individualisierbare Touchflächen, sondern auf klassische Taster unten an den Hörmuscheln. Auf der rechten Seite gibt es Play/Pause, Lautstärkesteuerung und Titelsprung über einen Doppelklick der +/- Tasten. Links wiederum ist der An/Aus-Schalter mit Bluetooth-Verbindungsoption sowie ein Taster für das Noise-Cancelling. Simpel und gut.
Klassische HiFi-Tugenden
Ebenso klassisch ist beim Melomania P100 die Schallwandlung aufgebaut. Richtig überrascht waren wir, einen ganz klassischen HiFi-Verstärker mit Class-A/B-Schaltung im Datenblatt zu erspähen. Er soll für besonders natürlichen Klang sorgen – das ist umso erstaunlicher, als dass der Melomania P100 ein Meister der Akkulaufzeit ist und Class-A/B-Verstärker gemeinhin als Stromfresser gelten.
Die eigentlichen Wandlerkapseln sind mit 40-mm-Treibern ausgestattet, die eine Sandwichmembran aus Polyurethan und Polyetheretherketon (PEEK) nutzen – laut Hersteller soll es Langzeitstabilität der Materialeigenschaften garantieren, sich aber trotzdem besonders musikalisch verhalten. Beim Blick in die Hörerkapseln fiel uns auf, wie stark die Treiber angeschrägt sind. Ein Kniff der Entwickler, um die natürliche Schalleinfallsrichtung von Lautsprecherwiedergabe oder Live-Schall nachzubilden und damit bessere Raumabbildung zu ermöglichen.
Praxis, ANC und Tragekomfort
Doch zunächst widmeten wir die erste Runde des Praxistests ohne Musik den Sekundärtugenden. Beim Tragekomfort hinterließ der Cambridge P100 nur zufriedene Gesichter. Er saß auf mehreren Ohren erstaunlich bequem und umschloss die Ohrmuscheln, ohne zu drücken oder das Gefühl von Wärme zu erzeugen. Das vegane Kunstleder überzeugte uns ebenso wie die recht langsam reagierenden Polsterringe aus Memoryfoam, denen man ein paar Sekunden bis zur perfekten Anpassung gönnen sollte. Der Bügel lässt sich stufenlos an verschiedene Kopfgrößen anpassen und blieb langzeitstabil in einer Position.
Eine genaue Einstellung der Bügellänge ist auch notwendig, denn der P100 sitzt im Vergleich zu anderen Reisekopfhörern eher locker auf dem Kopf. Stimmt die Länge nicht oder setzt man ihn nicht genau von oben auf den Kopf, beeinträchtigt das die Dichtheit der Kapseln und damit die Effektivität des ANC. Wer einen schmaleren Kopf hat, dem empfehlen wir, den Sitz des P100 zunächst auszuprobieren. Besonders bei starken Kopfbewegungen kann er sich sonst lockern, was ihn für sportliche Aktivitäten nicht unbedingt zur ersten Wahl macht.
Sitzt er korrekt, steht einem erstaunlich guten Noise-Cancelling nichts mehr im Wege. Eine allzu starke Isolation oder totale Stille sollte man vom Cambridge Audio nicht erwarten. Selbst in der höchsten ANC-Stufe lässt er Außengeräusche noch etwas durch. Die Dämpfung geschieht aber so linear, natürlich und unaufgeregt, dass man das außer in extrem lauten Umgebungen nicht als Manko empfindet. Besonders in Flugzeug und Bahn (der Langlauf-Akku geht auch bei den üblichen Zugverspätungen nicht in die Knie) macht das ANC seine Sache super, im lauten Straßenverkehr oder bei Wind hört man manchmal leicht befremdliche Unterschiede zwischen linker und rechter Seite.
Mikrofone und Transparenzmodus
In sehr stiller Umgebung kann man ein minimales Grundrauschen bei allen ANC-Stufen vernehmen. Nicht störend, und vom Pegel her deutlich unter dem, was wir der Konkurrenz von Sony oder Bose attestieren mussten, aber vielleicht doch ein Grund für audiophile Musikhörer, zuhause den Normalmodus zu aktivieren. Der Transparenzmodus machte seine Sache durchschnittlich, ließ aber bei Durchsagen in Bahnhöfen und im Flugzeug etwas Deutlichkeit vermissen.
Besonderes Lob wollen wir dagegen der Spracherkennung der eingebauten Mikrofone aussprechen, die uns beim In-Ear Cambridge Audio Melomanio M100 nicht überzeugte. Telefonieren oder Videokonferenzen funktioniert problemlos mit erstaunlich guter Sprachverständlichkeit, wie wir sie bisher nur von Headsets mit Bügelmikrofonen kannten.
Audiophile Ambitionen: Klang des Cambridge Melomania P100
Doch der Hauptzweck des Cambridge Audio ist ja ohnehin die Wiedergabe von Musik in maximaler Qualität. Hier liefert der Melomania P100 ohne Einschränkungen ab. Tonal ist er im Vergleich zu anderen Mitbewerbern seiner Klasse zunächst auf der natürlichen, unspektakulären Seite zu finden. Er verkneift sich einen wummernden Bass ebenso wie grell zischelnde Höhen.
Natürlich und unspektakulär heißt aber hier ausdrücklich nicht „spaßfrei“ – im Gegenteil! In allen audiophilen Disziplinen mit praktisch allen Musikrichtungen begeisterte uns der P100. So haben wir auch den 7-Band-EQ in der Praxis nicht oft benutzen müssen, weil der Melomania P100 einfach „richtig“ spielt ab Werk. Das gilt gerade für die Einstellung „Natürlich“, der lineare Preset klingt ein wenig zu monitormäßig.
Das meint nicht nur „tonal richtig“ und ausreichend fein auflösend, sondern er gab der Musik von Rock über Pop bis Jazz und Hiphop einen besonderen Drive, einen besonderen Zauber mit. Das war zu einem Gutteil seiner plausiblen Raumabbildung geschuldet, die weder das Gefühl von Distanz noch von allzu aufdringlicher Nähe am Kopf projizierte, sondern vielmehr genau so abbildete, wie wir uns das wünschen. So groß wie bei anderen, bewusst auf weite Räumlichkeit abgestimmten Hörern war die Abbildung denn auch nicht, eher etwas kompakter, dafür zugleich präsenter.
Viel HiFi zum moderaten Preis
Aber auch feindynamisch und von der Homogenität des Klanges her ist der P100 einer der besten uns bekannten ANC-Kopfhörer. Das verleitete uns dazu, wirklich stundenlang mit dem ersten ANC Over-Ear von Cambridge zu hören. Was man auch problemlos kann, denn die Polster sitzen recht locker, druckfrei und angenehm auf den Ohren. Im Gegensatz zu einigen Mitbewerbern wird es unter dem P100 den Ohren auch nicht zu heiß.
Macht der P100 klanglich alles besser als sämtliche seiner Mitbewerber? Nun ja, aus Sicht des Liebhabers von Pop, Rock, Jazz, Klassik und akustischer Musik eindeutig ja. Wer Elektronisches mit allzu harten Beats und extremen Pegeln hören will, könnte vielleicht vom Tiefbass nicht restlos überzeugt sein. Der klang natürlich, tief und satt, aber vermittelte am Ende des Tages nicht die Härte, Schnelligkeit und Durchsetzungskraft, die man von einem Club gewohnt ist.
Für alle anderen ist der Cambridge Audio Melomania P100 schlicht einer der am besten klingenden ANC-Hörer, den es zur Zeit zu kaufen gibt.
Cambridge Audio Melomania P100: Fazit und Alternativen
In diesem Preissegment und leicht darunter erscheint die Konkurrenz auf den ersten Blick unschlagbar. Wer einen drahtlosen ANC-Hörer mit perfekt isolierendem Noise-Cancelling, 3D-Headtracking oder verwirrender Funktionsvielfalt sucht, ist bei Sony, Apple oder Bose besser aufgehoben.
Unschlagbar ist der Cambridge Audio Melomania P100 dagegen bei Akkulaufzeit, Tragekomfort und Klangqualität. Die tonale Abstimmung trifft genau den goldenen Mittelweg zwischen highfideler Ausgewogenheit, dynamischer Spielfreude und angenehmer Räumlichkeit. Ein Bowers & Wilkins PX7S2 klingt sicher spektakulärer, ziseliert die Höhen feiner und macht mehr Druck im Bass, doch so homogen und selbstverständlich wie der Melomania P100 klingt er nicht. Der einzige, der hier mithalten kann, ist der Sennheiser Momentum Wireless 4, aber der klingt etwas nüchterner und weniger räumlich als der P100. Insofern ein klarer Kauftipp von unserer Seite!
Technische Daten Cambridge Audio Melomania P100
- Preisempfehlung des Herstellers: 280 Euro
- Bauart: Over-Ear
- Wandlerprinzip: dynamisch
- Gewicht: 330 Gramm
- Besonderheiten: ANC, bis zu 100 Stunden Akku-Laufzeit (60 mit ANC), USB-C, Analog-Adapter
- Mehr unter www.cambridgeaudio.com