STEREO GUIDE Testurteil
Der Sennheiser IE 600 ist ein In-Ear-Monitor mit toller Dynamik, Spielfreude und Präzision. Wir vermissten im Test aber Wärme und Sanftheit.
Vorteile
- extrem hochauflösender, sauberer Klang
- ultimative Dynamik und hoher Wirkungsgrad
- tiefer, schneller Bass
Nachteile
- Klang analytisch bis gnadenlos
- bei hellen Aufnahmen manchmal zu schlank
-
Klang: Natürlichkeit / Transparenz9.1
-
Klang: Bass / Dynamik9.6
-
Praxis / Connectivity9.2
-
Preis / Leistung9
Auch im Zeitalter von True Wireless, Bluetooth und Noise-Cancelling wächst beim Kopfhörer-Spezialisten Sennheiser das Portofolio kabelgebundenen In-Ears. Im High End Segment setzt man sogar völlig auf Kabel. Nun klaffte im Angebot zwischen dem bezahlbaren IE 300 und dem ziemlich gehoben gepreisten IE 900, die wir beide im Test hatten, eine Lücke. Die schließt der Sennheiser IE 600 für 700 Euro unverbindlicher Preisempfehlung. Wir verstehen ihn mit diesem Pricing auch als eine Kampfansage an den Beyerdynamic Xelento 2, der etwas mehr kostet und sich bei uns mit seinem natürlichen, unaufgeregt-audiophilen Klang sogar etwas vor dem teuersten der Sennheiser-Serie platzieren konnte.
Was unterscheidet nun den IE 600 von seinem teureren Bruder und seinem schärfsten Rivalen? Alle drei besitzen ein Metallgehäuse. Doch beim IE 600 wird das weder gefräst noch aus mehreren Gussteilen zusammengesetzt, sondern gedruckt. Dazu kommen weder Stahl noch Aluminium infrage, sondern Sennheiser setzt ein in Deutschland gefertigtes Gehäuse aus Zirkonium ein. Dieses in den metallurgischen Eigenschaften dem Titan nicht unähnliche Metall soll nun alle Vorteile gegenüber Stahl und Aluminium ausspielen. Das ohnehin schon korrosionsbeständige Übergangsmetall wird in einer Legierung verwendet, die bessere Härte garantieren soll und zusätzlich nach der Formherstellung mit extremer Kälte gehärtet wird.
Metall gedruckt statt gefräst
Der Hauptvorteil beim Einsatz als InEar-Hörer: Es lässt sich eben Drucken und damit beliebige Formen erzeugen. Das wird beim IE 600 für eine komplexe Konstruktion aus Bedämpfungskanälen und Resonanzkammern genutzt. Eine Doppel-Resonanzkammer innerhalb des Gehäuses ist zum Beispiel dafür zuständig, dass der Frequenzgang in dem Bereich linearisiert wird, wo das Gehör besonders empfindlich auf Verfärbungen reagiert. Außerdem soll die Konstruktion tiefe Frequenzen über den hörbaren Bereich ohne Resonanzüberhöhungen immer mit perfekter Impulsverarbeitung wiedergegeben. Der Hersteller betont, dass durch modernste Druckverfahren die Toleranzen nochmals enger sind als beim Fräsen und bei Gussverfahren ohnehin.
Dabei handelt es sich chemisch gesehen um ein amorphes Metall. Und auch das Aussehen der Oberfläche kommt dem geneigten Highender unter der Lupe oder auf dem Makrofoto ein wenig rauh vor. Aber das täuscht.
Einer für Alles
Der 7-mm-Treiber im Inneren kommt auch bei anderen Modellen zum Einsatz. Sennheiser bezeichnet ihn als „True Response“ und betont den unglaublichen Frequenzumfang von 4 bis 46.000 Hz. Das ist nun keine für HiFi-Anwendungen besonders wichtiger Wert. Wir glauben dem Hersteller allerdings, dass der eigentlich wiederzugebende Frequenzbereich zwischen 16 und 20.000 Hz soweit von den mechanischen Grenzen des Treibers entfernt ist, dass man ihn auch Fullrange einsetzen kann.
Denn Sennheiser setzt eben auf einen Breitbänder statt auf eine Mehrwege-Anordnung, wie in gehobenen Preisklassen mittlerweile nicht unüblich. Der Antrieb des Treiber erfolgt durch eine klassische Schwingspule, mithin ist der den dynamischen Treibern zuzurechnen.
Die Impedanz gibt der Hersteller mit 18 Ohm an. Zusammen mit einem hohen Kennschalldruck soll das dafür sorgen, dass auch beim Anschluss an weniger leistungspotente Verstärker in Smartphones, Tablets und Notebooks ausreichend Dynamik vorhanden ist.
Was ist noch dabei?
Bei der Verkabelung liefert der Hersteller zwei Varianten mit: Eine unsymmetrische 3,5-mm-Klinke und eine 4,3-mm-Pentaconn. Letztere erlaubt eine vollsymmetrische Ansteuerung, wenn der Verstärker oder DAC eine entsprechende Buchse besitzt. Ein klassisches Headset-Kabel mit Mikrofon gibt es dagegen nicht.
Die Kabel werden immer über die Ohrmuschel von oben geführt. Die ersten Zentimeter von der Wandlerkapsel aus sind mit einem Draht verstärkt, der einen wirklich sicheren Sitz garantiert.
Der Sennheiser IE 600 muss, wie die meisten In-Ears, wirklich dicht im Gehörgang plaziert werden. Ohrpassstücke liegen in drei verschiedenen Größen und zwei Materialvarianten bei – jeweils als dünne Gummidichtung und als Memory-Schaumstoff. Die metallenen Schallkanäle müssen relativ tief in den Gehörgang hinein, um dicht abzuschließen.
Nichts überstürzen mit den Ohrpolstern
Trotz des üppigen Angebots sollten sich neue Sennheiser IE 600 Besitzer für Auswahl und Einsetzen Zeit nehmen. Mit den Gummiadapter hatten einige Testpersonen ihre liebe Not. Die Abstufung der Größen ist recht grob, und selbst der große ist nicht immer abschließend im Gehörgang zu plazieren.
Denn sie müssen recht tief in den Gehörgang hinein, bis sie wirklich dicht abschließend. Immerhin: Eine Fehlanpassung bemerkt man sofort, in Form von dünnem und bassfreien Klangs. In der Praxis fanden die Tester unserer Reihe mit dem mittleren oder dem großen Schaumstoffadapter einen perfekten Sitz.
Die Gehäuseform unterscheidet sich praktisch nicht vom IE 900. Will sagen, der IE 600 liegt sehr flach im Ohr und es stört auch gar nicht, wenn man sich mit eingesetztem In-Ear aufs Ohr legt. Dafür spürt man aber auch häufig, dass da im Ohr „irgendetwas ist“. Solange es nicht drückt, sehen wir aber bei der Langzeittauglichkeit keine Probleme.
Wie klingt der Wunderhörer Sennheiser IE 600 im Test?
Aufgrund der technischen Ähnlichkeiten interessierte uns natürlich, wie der IE 600 im Direktvergleich zu seinem immerhin doppelt so teuren Schwestermodell IE 900 performen kann. Nach langem Durchtesten vieler Musikstücke können wir festhalten: Beide sind sich tonal und von den Qualitäten her sehr ähnlich. Will sagen: extreme Höhenauflösung bei schlackenloser Sauberkeit, und eine treibende Dynamik mit atemberaubenden Pegelreserven. Den Charakter als In-Ear-Bühnenmonitore können weder der IE 900 noch der IE 600 verhehlen: Genauso stellt man sich im Idealfall den Livesound vor, der auch bei dichten Mischungen und hohen Pegeln noch so transparent bleibt, wie sich Musiker das wünschen.
Die Detailauflösung ist als extrem präzise zu bezeichnen, mit einem Hang zu etwas betonten oberen Höhen. Auch, wenn diese Betonung etwas höher und damit weniger aufdringlich ist als beim IE 900, bleibt der IE 600 allerdings auch immer ein gnadenloser Monitor im wahrsten Sinne. Egal ob man elektronische Musik, Hardrock oder Bigband-Jazz hört, man bekommt immer das volle Dynamikpaket ohne eine Sekunde Verschnaufpause. Je nach Mischung kann es sogar obenherum ein wenig zuviel der Präzision sein. Nur bei bewusst sanft und warm aufgenommenen Tracks klingt der Sennheiser IE 600 auch entspannend, denn transparent und sauber bleibt er immer.
Trotz aller Direktheit projiziert er einen für einen InEar erstaunlich glaubwürdigen Raum. Der ist zwar recht nah am Kopf dargestellt und auch nicht allzu groß, aber auch für Klassik- und akustische Jazzaufnahmen absolut adäquat.
In-Ear-Kopfhörer mit mächtig Drive
Etwas unterschiedliche Wege gehen die beiden Sennheisers im Tiefbass: während der IE 900 untenherum vor allem mit Masse schiebt, bleibt der IE 600 immer auf der schnellen, tiefen und knackigen Seite. Aus Sicht der Klangtreue gegenüber seinem teureren Bruder eher ein Vorteil, kippen tonal schlank aufgenommene Tracks dadurch allerdings noch eher ins Helle. Bei etwas wärmeren oder sanfteren Aufnahmen dagegen gibt er Stimmen eine gehörige Portion Volumen und Schmelz.
Als Klassenbester mit weitem Abstand erwies er sich bei Dynamik und Wirkungsgrad: Was selbst am spannungsbegrenzten Ausgang eines iPhones an Pegel, Impulsspitzen und Sauberkeit aus dem IE 600 herauskommt, ist konkurrenzlos.
Sennheiser IE 600: Testfazit und Alternativen
Im Kopfhörer-Segment zwischen 500 und 1000 Euro gibt es einige klanglich starke Mitbewerber. Unsere Favoriten im passiven Segment und die Referenzen zum Hörvergleich sind der Final B-3 und der Beyerdynamic Xelento 2. Generation. Wer eine warme oder sanfte Abstimmung bevorzugt, sollte unbedingt den Final oder bei Vorliebe für eine ausgewogen-neutrale Abstimmung den Beyerdynamic in Betracht ziehen. Der Sennheiser IE 600 zielt mit seinem tonalen Fokus auf höchste Auflösung und Dynamik mit knalligem Tiefbass eher auf Käufer, die auch Bühne und Club als Orte des Musikhörens bevorzugen. Unterm Strich zieht er auch fast mit dem doppelt so teuren Sennheiser IE 900 gleich, der nur noch mit etwas mehr Detailauflösung und Bassdruck Vorteile verbuchen kann.
Technische Daten Sennheiser IE 600
- Preisempfehlung des Herstellers: 700 Euro
- Bauart: In-Ear
- Wandlerprinzip: Dynamisch
- Gewicht: 5 g
- Besonderheiten: 3 Paar Ohradapter aus Silikon (S, M, L), 3 Paar Ohradapter aus Schaumstoff (S, M, L), Trage-Etui, Anschlusskabel asymmetrisch und symmetrisch Pentaconn
- Mehr unter: www.sennheiser.com