Nie war er so wertvoll wie heute: Der Kopfhörer war den größten Teil seiner langen Geschichte, eine Notlösung – etwa zur lauten Musik- oder Fernsehtonwiedergabe bei Nacht oder wenn Platz und Geld für anständige Lautsprecher fehlten.
Es vergingen über 100 Jahre, seit Nathaniel Baldwin, Gründer und Inhaber der Baldwin Radio Company in Salt Lake City, 1910 seine als „Baldy Phones“ bezeichneten Kopfhörer auf den Markt brachte. Heute ist diese Art zu Hören ganz groß in Mode als Immer-Dabei-HiFi.
Walkman gab den ersten Impuls
Zwar gab es ein Zwischenhoch, das auf den Ende der 70er Jahre von Sony erfundenen Walkman zurückging. Sony selbst konnte zwischen 1979 und 2004 rund 335 Millionen dieser Westentaschen-Cassettendeck an die Frau und an den Mann bringen. Auch andere Marken wie Aiwa oder Sanyo sprangen auf den Zug auf.
Später kamen noch mobile CD-Player hinzu, die aber nie ganz an den Erfolg der Mini-MC-Abspielgeräte anknüpfen konnten. Sie waren zu stoßanfällig und verbrauchten nebenbei zu viel Strom, besonders, wenn ihre Fehlerkorrektur und Sparnachführung durch Bewegung gefordert war. Auch die von Sony entwickelte MiniDisc oder das Digital-Audio Tape (DAT) konnte keine vergleichbare Massenbewegung auslösen, wie der analoge Cassetten-Walkman.
Konzert im Kopf
Natürlich förderten diese Mobil-Geräte die Verbreitung von Kopfhörern. Doch ausgerechnet bei den in den 80ern recht verbreiteten Cassetten-Walkmännern war die Klangqualität durch Rauschen und mäßige Höhenwiedergabe limitiert. Deshalb handelte es sich dabei meist um einfache Ohrhörer. Die konnten besonders im Bass wenig überzeugten und gaben Stimmen oft recht artifiziell wieder. Auch die räumliche Wiedergabe, prinzipbedingt ohnehin keine Paradedisziplin der Kopfhörer, wirkt mit solchen einfachen „Schmalzbohrern“, wie sie spöttisch genannt werden, sehr beengt. Die Musik spielt im Kopf. In Verbindung mit der fehlenden Zwerchfellmassage durch den Bass sind das Eigenheiten, die das Image des Kopfhörers als ewige Notlösung festigten.
iPod brachte die Wende
Mit dem iPod brach 2002 ein neues Zeitalter an, das nicht nur Apple in einem völlig neuen Licht erscheinen ließ, sondern auch dem Kopfhörer zu einem bis heute anhaltenden Boom verhalf. Das iPhone von 2007 verstärkte den Trend zum Personal Entertainment noch weiter. Wer als HiFi-Anbieter jetzt keinen Kopfhörer im Programm hatte, musste fürchten, den Anschluss zu verlieren. Zwar lagen dem iPhone auch nur einfache Ohrstöpsel bei. Doch ermöglichte die im Vergleich zur Compact-Cassette extrem natürliche Klangqualität der MP3- und von Apple favorisierten, auf einem moderneren Codec basierenden AAC-Audio-Dateien trotzdem ein Musikerlebnis weit jenseits des ursprünglichen Walkmans.
Die lange Batterielaufzeit und vor allem der bequeme Zugriff auf „10.000 Songs in Deiner Hosentasche“ wie Apples damaliger Slogan ankündigte, taten ein übriges. Nie zuvor hörten junge wie alte Menschen, Männer wie Frauen ihre Musik so oft über Kopfhörer. Selbst klassische Lautsprecherhersteller wie KEF oder Klipsch setzten bald auf den Trend.
10.000 Songs von der Festplatte
Endlich gab es das perfekte mobile Abspielgerät, das auf der Festplatte, später sogar vom Festspeicher die gesamte Musiksammlung zum ständigen Begleiter machte. Das Beste daran: Die größten Musikgenies der HiFi-Geschichte kosteten noch nicht einmal viel Geld. Mehr noch: Als eine der unzähligen Smartphone-Funktionen hat seit über 10 Jahren ohnehin fast jeder seinen Festplattenspieler ständig zur Hand.
Das iPhone und die später hinzugekommenen Android-Handys produzierten HiFi-Nachwuchs am Fließband. Wer sich erst einmal mit Überall-MusikVirus angesteckt hat, der verspürt angesichts der mäßigen Klangqualität der serienmäßigen Ohrhörer fast zwangsläufig den Wunsch nach einem Upgrade. Deshalb sieht man inzwischen sogar in der U-Bahn viele Menschen mit richtigen HiFi-Kopfhörern.
Wechselwirkung beflügelt Kopfhörer-Industrie
Das liegt auch an einer Wechselwirkung zwischen den allgegenwärtigen Smartphones und der Kopfhörer-Industrie. Mittlerweile gibt es den früher dominierenden 6,3-mm-Klinkenstecker höchstens als Adapter. Die 3,5-Mini-Klinke ist längst auch bei High-End-Hörern Standard. Doch der Wandel machte nicht bei solchen Äußerlichkeiten halt. Ein klassischer Sennheiser- oder Beyerdynamic-Hörer ließe sich zwar mit Mini-Klinke an ein Smartphone anschließen. Die im Heimbereich übliche hohe Impedanz stünde aber dem Spaß im Wege.
Ein hochohmiger Hörer klingt an einem Mobilgerät einfach saft- und kraftlos – so richtig zum Einschlafen. Das liegt daran, dass die Ausgangsstufen von iPhone und Co. aus Gründen von Preis, Platz und vor allem Batterie-Ökonomie keine hohen Ströme und Spannungen liefern können. Die wären aber nötig, um einen klassischen HiFi-Kopfhörer auf Touren zu bringen. Schließlich ist deren hoher elektrischer Widerstand der Fluch der guten Tat: Die Entwickler legten vor dem Smartphone-Boom das Augenmerk auf Heimanwendungen. Dort wurden die Kopfhörer bisher jedoch in aller Regel als Problemlöser am potenten Kopfhörerausgang eines HiFi-Verstärkers betrieben.
An der HiFi-Anlage herrschen andere Bedingungen
An der Stereo-Anlage ist genug Leistung vorhanden und maximale Klangqualität gefragt. Dafür gilt es jedoch, die bewegten Massen für perfekte Impulstreue so gering wie möglich zu halten. Neben ultradünnen Membranen müssen dabei auch die Schwingspulen einen Beitrag zur Gewichtsoptimierung leisten. Leider bauen leichte Antriebsspulen mit wenigen Wicklungen aus dünnem Draht keine großen elektromagnetischen Felder auf. Dafür haben sie aber einen hohen elektrischen Widerstand, der schwachbrüstigen Kopfhörerausgängen an Mobilgeräten das Leben zusätzlich schwer macht.
Neu Materialien verschieben die Grenzen des Machbaren
Modernste High-Tech-Materialien und vor allem auch computerunerstützte Entwicklung halfen den Konstrukteuren, die physikalischen Abläufe im Antriebssystem besser zu verstehen. So bauen etwa die heute üblichen Neodymmagneten stärkere Magnetfelder als einfache Ferritmagneten auf. Der technische Fortschritt führte dazu, dass auch High-End-Kopfhörer heute fast ausnahmslos mit smartphone-gerechten niedrigen Impedanzen um 32 Ohm angeboten werden, während hier früher Widerstände im hohen dreistelligen und sogar im Kilo-Ohm-Bereich den Markt dominierten.
Ein dynamische Wiedergabe mit ausreichend hohem unverzerrten Maximalpegel ist daher heute praktisch mit jedem Mobilgerät möglich.
Hi-Res beflügelt
Für jene, die Attacke und Pegel mit seinem Smartphone trotzdem nicht zufriedenstellen, für den gibt es Abhilfe. Der MP3-Player-Boom förderte nämlich auch die Entstehung beziehungsweise den Ausbau weiterer Produktfelder rund um die mobile Musikwiedergabe. So gibt es einerseits für die besonders Anspruchsvollen dezidierte Hi-Res-Player, die neben MP3 oder AAC auch hochauflösende Musik in den unkomprimierten Formaten, FLAC, WAV oder DSD unterstützen.
In der Regel haben die kleinen Musik-Maschinen auch sehr potente Kopfhörer-Ausgänge mit regelrechter Overkill-Kapazität für besonders wirkungsgradstarke Kopfhörer. Doch wer seinem Smartphone treu bleiben will, das er ohnehin immer mitnimmt, der findet heute eine beachtliche Auswahl an mobilen Kopfhörer-Verstärkern für den Schreibtisch und für unterwegs.
Kaum zu glauben, was selbst mit guten, sprich nicht so stark komprimierten AAC- oder MP3-Dateien vom Smartphone in Verbindung mit einem externen Kopfhörer-Amp an Dynamik und Natürlichkeit möglich ist. Der bayerische Kopfhörerspezialist Ultrasone bietet für ein kleines Geld sogar einen Mobil-Amp im Briefmarkenformat. Der bezieht praktischwerweise seinen Strom direkt aus dem Audio-Ausgang des Smartphones.
Da viele ohrumschließende oder auf dem Ohr aufliegende Hörer heute den Trend folgend faltbar ausgelegt sind, kann man seine Stereo-Anlage samt Musiksammlung überall hin mitnehmen.
Digital-Technik bei Kopfhörern auf dem Vormarsch
Dazu passend zeigte die Samsung-Tochter Harman auf der CES in Las Vegas vor einigen Jahren mit Personi-Fi den Prototypen einer App. Die soll in Zukunft für perfekteren, an den Benutzer angepassten Klang sorgen. Und zwar ganz gleich, ob man mit Kopfhörer unterwegs ist, im Auto sitzt oder vor der Stereo-Anlage. Die App lernt durch einen Test die individuellen Vorlieben und Eigenheiten des jeweiligen Gehörs. Dann soll das Profil sozusagen als Equalizer-Preset über die Cloud auf allen Wiedergabegeräten des Nutzers zu Verfügung stehen. Oder es wird via Bluetooth an den Kopfhörer oder Lautsprecher gestreamt werden.
Bluetooth ist ohnehin gerade das neue Zauberwort. Während zu Zeiten analoger Funkübertragung Drahtlos-Hörer vor allem durch Rauschen und müden Klang auf sich aufmerksam machten, hat die Digital-Technik diese Schwächen überwunden. In jüngster Zeit werden die Funk-Hörer immer kleiner – keine Spur mehr von den klobigen TV-Drahtlos-Kopfhörern vergangener Zeiten. Jogger und andere Sportler, die sich an langen Kabeln stören, finden ein ständig wachsendes Angebot an klangstarken drahtlosen In-Ears. Die verhelfen dank Bluetooth Musik zu einer nie gekannten Mobilität. In naher Zukunft sollen diese kleinen High-Tech-Hörer in den Vision der Hersteller sogar die Musikquelle ersetzen – durch integriertes Streaming über Online-Musikdienste.
Kopfhörer lassen sich grundsätzlich in fünf Kategorien einteilen. Der folgende kurze Überblick zeigt Ihnen die Stärken und Schwächen der unterschiedlichen Konzepte auf.
Muschelkopfhörer sind die klassische Bauweise. Sie umschließen das Ohr vollständig. Das fördert Abschirmung und Tragekomfort. Außerdem ermöglicht die Form große Schallwandler für voluminöse Bässe und hohe Lautstärken. Die Gehäuse sind entweder offen für luftige Wiedergabe oder geschlossen für hohen Schalldruck im Bass.
Von den Herstellern werden sie oft als On-Ear-Kopfhörer deklariert. Die Kopfhörermuschel sitzt mit Druck auf dem Ohr auf und wird daher in der Regel auf Dauer als weniger angenehm empfunden als die Ohren umschließende Konstruktionen. Dafür lassen sich die On-Ears leichter transportieren und verheißen satte Bässe.
Die auch als Ear-Buds bekannten Ohrhörer sind extrem klein und robust und damit ideal für unterwegs. Sie werden in die Ohrmuschel eingesetzt und erhöhen damit das Risiko von Gehörschäden durch zu hohe Lautstärken. Klanglich darf man von dieser günstigen Standardlösung vor allem im Bass keine Wunder erwarten.
Sie sind die absoluten Exoten unter den Kopfhörern. Sie bieten prinzipbedingt durch Einbeziehung der Außenohr-Übertragungsfunktion eine sehr räumliche Wiedergabe. Das eigentliche Ziel, die Außerkopf-Lokalisation mit perfekter Vorne-Ortung, bleib allerdings meist ein Entwickler-Traum.