Ende des letzten Jahres schalteten die Satelliten-Radio-Sender der ARD den alten Transponder 93 ab. Auf Transponder 39 liegen jetzt die ARD-Hörfunkprogramme des BR, NDR, RB, SR, SWR, WDR, auf Transponder 61 die Hörfunkprogramme von HR, MDR, RBB.
Das war aber nicht der einzige Wandel. Mit den neuen Transpondern lassen sich die Sendungen nur noch mit dem für digitale Rundfunkprogramme optimierten AAC-LC-Codec (Advanced Audio Codec – Low Complexity) wiedergeben. Das Tonformat ist Bestandteil des DVB-S2-Standards, für den es seit 2012 kompatible Set-Top-Boxen oder Fernseher im Handel gibt.
Der bisherige Tonübertragungs-Standard MPEG-1 Audio Layer 2-Codec (MP2) wurde also beim ARD-Transponderwechsel gleich mit ausgeknipst. Damit ging im letzten Jahr bei Nutzern von SAT-Receivern die Angst um. Und nicht nur das. Hätte es sich dabei um die Initiative einiger Privatsender gehandelt, wäre die Sache sicherlich nicht so hochgekocht. Selbst wenn einige ältere Receiver damit über Nacht zum Radiohören so unbrauchbar gemacht wurden wie Euro-5-Diesel für die Stadtfahrt.
Wellen geschlagen
Doch in diesem Fall gab es nicht nur hitzige Diskussionen in Nutzerforen. Dabei rückten dann immer mehr angebliche Nachteile des neuen Tonformats in den Mittelpunkt und sorgten für noch mehr Aufregung. Aktivisten strebten sogar Petitionen an und schrieben Leserbriefe an die Presse. Schnell zeigte sich auf Anfrage bei den wichtigen Herstellern Technisat und Kathrein: Eine durchaus eine nicht unerhebliche Anzahl von Geräten, die vor Mitte der 10er-Jahre auf den Markt kam, kommt mit dem neueren Codec problemlos klar. Und zwar auf Basis ausgiebiger Tests der Hersteller, die darüber auch die Fachhändler informierten oder Listen kompatibler Receiver bereitstellten. Für manche Geräte ist auch ein Software-Update möglich.
Wenn man bedenkt, dass die meisten dieser Geräte weniger als ein Smartphone kosten, das durch Software-Weiterentwicklung auch meist nach wenigen Jahren nicht mehr richtig funktioniert, rückt schnell ein ganz anderer Aspekt ins Blickfeld: In Zeiten der Rundfunkgebührendebatte schien es für so manchen um eine Grundsatzfrage zu gehen. Schließlich geht dem Gebührenzwang auch ein Anspruch auf Grundversorgung einher. So trafen die empfindlichen Ohren einiger HiFi-Fans und Vorurteile über den AAC-Codec auf eine bestehende politische Debatte.
Der Hessische Rundfunk wollte deshalb alle Unklarheiten beseitigen und einen professionellen Hörtest „Satellitenradio Alt gegen Neu“ organisieren. Jörg-Peter Jost, der Leiter Zentraltechnik beim Hessischen Rundfunk, schlug vor, mich als profilierten HiFi-Tester bei dem professionell aufbereiteten Blindtest teilnehmen zu lassen.
Hörvergleich AAC-LC gegen den bisherigen MP2-Codec
So bekam ich einen Ordner in WAV kodierter Soundfiles mit zahlreichen Ausschnitten aus Rundfunkproduktionen des Hessischen Rundfunks. Zu den zweimal 12 Tracks zählten Pop-Musik, Sprache und Klassik, die in der real ausgestrahlten Datenrate und dem Codec (Alt vs. Neu beziehungsweise MP2 gegen AAC-LC) des jeweiligen Rundfunkprogramms eingefangen und zurück ins unkomprimierte Format gewandelt wurden. Zum Festhalten der Höreindrücke gab es eine Excel-Tabelle mit den Namen der Test-Tracks. Zu jedem einzelnen konnten die Probanden, die den gleichen Test auch intern beim HR absolvierten, drei Möglichkeiten ankreuzen: A besser, B besser oder beide Beispiele gleich.
Echter Blindtest unter Realbedingungen
Niemand der Versuchsgruppe aus Angestellten der Rundfunkanstalt konnte sehen, ob dem jeweiligen Programmausschnitt eine AAC-LC– oder eine MP2-Datei zugrunde lag. Theoretisch hätten es bei einem Beispiel auch zwei identische Formate sein können. Das machte die Sache noch etwas kniffliger.
Aus Neugier ließ ich nach dem Datei-Download die Arbeit ruhen und machte einen schnellen Probedurchgang. Danach war eines klar: Es würde eng werden. Die Endzeitstimmung einiger Betroffener, die ganz abgesehen von Kompatibilitätssorgen im Vorfeld vor allem auch dem AAC-LC-Codec die klanglichen Weihen versagten, schien sich dem ersten Eindruck nach nicht zu bewahrheiten.
Hörvergleich mit der High-End-Stereo-Anlage
Im eigentlichen Hörtest lauschte ich den Rundfunkaufzeichnungen sehr intensiv über eine High-End-Stereo-Anlage. Die bestand aus einem Paar britischer Standboxen (Acoustic Energy Radiance 2) im Bi-Amping-Betrieb an einer Phonosophie-Vierkanal-Endstufe. Anschließend wiederholte ich den Versuch noch mit einem hochwertigen Kopfhörer. Es war trotzdem wirklich schwer, Unterschiede auszumachen und auch noch zu entscheiden, was davon richtiger ist. Am Ende gab es in meiner Blindtest-Tabelle eine leichte Präferenz für das, was ich auf Grund früherer Vergleiche zwischen MP3 und AAC für den, von der Effizienz überlegenen, Advanced Audio Codec hielt.
Als ich meine ausgefüllte Blindtest-Tabelle an den HR zurückschickte, wusste ich allerdings noch nicht die Auflösung, welche Codecs hinter welchem Beispiel standen. Nach der Auswertung des Tests durch den HR ergab sich folgendes Bild. Sechsmal gab ich AAC-LC den Vorzug, nur zweimal MP2 und – was schon vorher feststand – viermal konnte ich mich gar nicht zugunsten eines der beiden Hörbeispiele entscheiden. Man muss kein Statistiker sein, um daraus folgern zu können, dass die Angst vor Klangeinbußen durch den Transponderwechsel und das neue Audio-Format durch Fakten schwer zu untermauern ist.
Allerdings bleibt zu erwähnen, dass dieser Test die realen Sendebedingungen mit individuellen Datenraten je nach Programm abbildet. Deshalb gilt zu bedenken, dass die öffentlich-rechtliche Anbieter wie der HR tendenziell bei ihren Musikprogrammen mit einer, für eine gewisse Mindestqualität notwendigen Datenrate sendeten beziehungsweise senden. Das war sowohl für den alten DVB-S-Standard als auch im neuen DBV-S2 der Fall.
Beruhigendes Ergebnis
„Das Ergebnis finde ich sehr beruhigend“, freute sich der Initiator des Hörvergleichs. Die meisten anderen Probanden vom Hessischen Rundfunk hatten entweder keine Unterschiede ausmachen können. Sie haben also oft oder immer „A und B gleich“ angekreuzt. Oder ihre Präferenzen verteilten sich so gleichmäßig über beide Codecs. Auch daraus ließ sich kein statistisch belegbarer Vorteil für eines der beiden Codierungsverfahren ableiten lässt.
Nichtsdestotrotz konnte sich Jörg-Peter Jost erst mal nicht auf den Lorbeeren ausruhen. „Wir versuchen gerade drei Probleme zu lösen“, gesteht der Verantwortliche für die Umstellung seiner Rundfunkanstalt.
Punkt eins: Es knackte hin und wieder bei bestimmten Sat-Receivern mitten in der Wiedergabe. Dieses Problem wurde aber inzwischen gelöst.
Problem zwei: Bei manchen gab es auch plötzliche Lautstärkesprünge. Auch hier hat der HR inzwischen Abhilfe geschaffen.
Der dritte Punkt wird gerade gelöst. Jost: „Das Verhalten unterschiedlicher Endgeräte bei der Ausgabe von AAC-LC-Mehrkanalton ist noch nicht endgültig erforscht. Wir stehen hier in Verbindung mit den Herstellern, um für alle eine optimale Lösung für perfekte Klangverteilung in den einzelnen Kanälen zu finden.“
Das eigentliche Problem betrifft aber nicht nur den heiß diskutierten Transponderwechsel. Alle schauen eigentlich nur auf die Grenzen der grundlegenden Technologie. Doch die nutzen in der Praxis die wenigsten Rundfunksender aus.
Auch UKW hatte in der Praxis viele Schwächen
Das war schon bei UKW so. Von den seit langem üblichen MP3-Playlists mal ganz abgesehen, sahen sich die Verantwortlichen in der Tontechnik noch mit einem ganz anderen Problem konfrontiert. Das Programm sollte auch über ein einfaches Transistorradio oder über ein Autoradio als Hintergrundbeschallung noch gut klingen. Also bügelten sie mit Kompressoren die Dynamik glatt. Damit wollte man vermeiden, dass die leiseren Passagen nicht in den Umgebungsgeräuschen untergingen und das Ganze immer schön laut und deutlich wirkte. Wie Datenreduktions-Codecs darauf reagieren, gerade wenn die Datenrate an kritische Untergrenzen heruntergeschraubt wird, ist nicht vorherzusagen.
Freiwillige Selbstbeschränkung limitiert auch DAB+
Dieses Grundproblem blieb auch mit der Einführung von DAB (Digital Audio Broadcast) respektive DAB+ bestehen. Zwar steht digital immer für Tugenden wie Rauschfreiheit, hohe Kanaltrennung und glatten Frequenzgang. Das unterstrich auch jüngst unser Test des Teufel Boomster mit UKW- und DAB+ Tuner. Doch in der Praxis stehen dem zahlreiche Einschränkungen gegenüber. Kaum einer nutzt die Möglichkeiten von DAB+ mit vollem Dynamik- und Frequenzumfang richtig aus.
Abgesehen von einigen elitären Klassik-Radio-Programmen, deren Publikum man zutrauen kann, über entsprechend hochwertiges HiFi-Equipment zu verfügen, bescheiden sich die meisten Sender mit einer sehr bescheidenen Datenrate von höchstens 96 k/Bit. Meist nutzen auch die Klassik-Sender Bandbreiten von 144 k/Bit nur gelegentlich für aufwändig produzierte Live-Konzerte. Damit will man unter anderem vermeiden, dass es in entlegenen Gegenden zu Störungen kommt. Das gilt auch gerade unter wechselnden Empfangsbedingungen wie im Auto.
Natürlich fängt ein Digital-Radio bei schwachem Empfang nicht wie UKW zu Rauschen an, was sich durch automatische Umschaltung auf Mono analog noch lindern lässt. Es gilt hier: Alles oder nichts. Daher kommt es bei DAB+ im ungünstigsten Fall zu besonders störenden Drop Outs.
Darüber hat nur keiner groß geredet
Mit einer geringen Datenrate klingt Digital-Radio dann im Vergleich zu einem starken UKW-Antennensignal zwar ortsunabhängig etwas lahm und blutleer, aber 100 Prozent störungsfrei. Das ergab unser Vergleich beider Formate in der Zeitschrift AUDIO 05/16. Und wie bereits erwähnt, werden die meisten Pop-Programme für volle Dröhnung aus einfachsten Geräten ohnehin stark in Frequenzumfang und Dynamik beschnitten. Daher fällt der Geiz bei den Datenraten ohnehin kaum mehr ins Gewicht.
Dieses Problem ist unter Experten wie dem von mir im erwähnten Bericht befragten „Tuner-Papst“ Adrianus Elschott, dem Vorstandsvorsitzenden der Restek AG, schon lange bekannt. Es sorgt aber nicht für Stürme der Entrüstung wie wir sie jüngst zum Transponderwechsel erlebten.
So gesehen dürfte auch mit diesem Bericht längst nicht das letzte Wort gesprochen sein. Gerade auch, weil die Anstalten der ARD gerade ans Ziel kommen, letzte Nebenwirkungen von Transponderwechsel respektive Formatumstellung zu beheben und den technisch möglichen 5.1-Mehrkanal-Ton auch auf jeder Settop-Box und jedem Fernseher mit optimaler räumlicher Klangverteilung auszugeben. Das war mit der Einführung von Stereo-Aufnahmen nicht viel anders. Man denke nur an frühe „Ping-Pong-Stereo“-Produktionen von den Beatles. Aber eines ist sicher: Die Sorgen wegen klanglicher Rückschritte des ARD-Satelliten-Radios durch die Umstellung im letzten Jahr waren besonders in der ausgeprägten Form nicht begründet. Die Sache mit den nicht mehr zu verwendenden Sat-Geräten steht auf einem anderen Blatt.